Lasst uns auf dem Feld des Schmerzes tanzen
Wir verlieren jeden Tag. Freunde, das Zuhause, Verwandte, Dichter und unseren Verstand. Einige sterben, einige schicken uns zum Teufel, einige schicken wir zur Hölle. Jemand verliert zum zweiten Mal nicht nur Freunde, sondern auch Freude, Stützen, Bedeutungen, sich selbst. Einige sagen, dass sie erst jetzt die Verluste und den Schmerz derer realisiert und wirklich verstanden haben, die weniger Glück hatten. Sie hatten Pech, so nahe an der Grenze der Ungeheuer und Monster geboren zu werden. Sie hatten zweimal Pech. Zweimal durch denselben Krieg. Aber sie finden allmählich Verständnis. Leid verwischt Grenzen und verschmilzt alle zu einer Einheit. Wie Stahl.
Ich bestehe aber darauf, dass ich Glück hatte. Das Glück, nur wenige Kilometer vom Ende der Welt geboren zu werden. Denn jenseits der Grenze ist das totale Ende von allem. Und jeden Tag denke ich darüber nach, wie nah ich diesem Ende war. Und doch wurde ich in einem freien Land geboren und bin Teil eines Volkes aus Stahl. Auch wenn diese fruchtbare Schwarzerde jetzt von wilden Unmenschen getrampelt wird, bleibt sie in ihrem Wesen frei. Sie bleibt in uns, die sie in ein Tuch gewickelt und nahe dem Herz versteckt haben.
Ich habe ein Stück schwarze Kohle in ein Tuch gewickelt und mit in die Welt hinaus genommen. Das ist alles, was von meinem Zuhause übrig geblieben ist. Ein Stück wertvolle Kohle und ein Schlüssel, der nie wieder jene Türen öffnen wird, hinter denen mein Leben zurückgeblieben ist. Jetzt wird es von den Toten bewacht. Von
meinen Eltern. Sie kreisen um unser Haus und vertreiben die wilde Horde. Unser Haus gehört nun den Toten. Denn es ist zusammen mit ihnen gestorben. Sie leben im gestorbenen Haus. Und ich besuche sie dort heimlich in der Nacht.
Unsere Existenz ist einfacher geworden. Halbtöne und Nuancen sind verschwunden. Blau ist blau und gelb ist gelb. Die Farbe des Blutes ist eine. Wir teilen unsere Verluste großzügig untereinander auf. Wir bleiben vor der Beerdigungsprozession stehen und senken unsere Köpfe. Die Lippen zucken wie Fische, die ein nicht existierendes Gebet murmeln, auf welches reichlich Tränen fallen. Daraus wird neues Leben wachsen. Später.
Unsere Freude ist salzig und flüchtig geworden. Die Augen sind feucht vom Regen. Unsere Umarmungen sind stärker geworden. Stärker als Stahl. Wir versuchen, einander festzuhalten und nicht zuzulassen, dass das Jenseits uns in sich hineinzieht. Deshalb halten wir uns in unseren Armen so fest wie möglich. Wir halten uns aneinander fest. Denn wir sind alles, was jeder von uns noch hat. Alles, was nach der großen Katastrophe übrig bleiben wird.
Wir sind im Schmerz erstarrt. Man darf im Schmerz nicht erstarren, hört ihr!? Wir müssen rennen und uns wehren, auch wenn es bedeutet, Steine ins Feuer der Gehenna zu schleudern. Denn wir leben, solange wir kämpfen. Solange wir uns in den Armen halten. Solange wir uns freuen und tanzen, Tränen auf die fruchtbare Schwarzerde vergießend. Auf der eines Tages neues Leben keimen wird.
Die Häuser werden fallen, der Himmel wird auf unsere Schultern fallen, aber lasst uns weiter rennen und uns an den Händen greifen. Lasst uns tanzen. Lasst uns auf dem Feld des Schmerzes tanzen...